Die Begriffe Compliance, Anti-Bribery-Compliance, Corporate Compliance Officer und Corporate Compliance finden immer mehr Aufmerksamkeit in der juristischen Literatur und Wirtschaftspresse. In Anbetracht der immer schärfer werdenden Haftung für Vorstände und Aufsichtsräte ist die Einführung eines Compliance-Management-Systems in internationalen Konzernen aber auch mittelständischen Unternehmen ein wichtiges Thema.
Auch wenn der Begriff „Compliance“ zunächst nur für Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute verwendet wurde, um organisatorische Maßnahmen zur Verhinderung von Interessenkonflikte, Insiderhandel oder Geldwäsche zu beschreiben (z.B. § 25a KWG, § 33 WpHG, § 14 GWG), entwickelt sich Compliance immer mehr zu einem eigenständigen Rechtsgebiet, welches die Gesamtheit der Maßnahmen definiert, die das rechtmäßige Verhalten eines Unternehmens, seiner Organe und Mitarbeiter im Hinblick auf alle gesetzlichen und unternehmenseigenen Gebote und Verbote sicherstellen sollen.
Inzwischen formulieren fast die Hälfte der nicht börsennotierten deutschen Unternehmen ihre Verhaltens-Richtlinien in einem Code of Conduct. Etwa ein Drittel der Unternehmen hat ein Compliance-Programm implementiert, um die Haftung der Geschäftsführung zu vermeiden. Art und Umfang der Compliance-Maßnahmen richten sich nach der Größe, Branche und den besonderen Umständen des Unternehmens. Sinnvoll sind Maßnahmen zur Auswahl, Einweisung und Überwachung der Angestellten, klare Zuständigkeiten und Verantwortungsbereiche im Unternehmen, ein Informationssystem und eine strikte Verfolgung von Verdachtsfällen.
Die Verfolgung von Wirtschaftsstraftaten nimmt immer mehr zu. Der 1. Strafsenat des BGH hat in einem Beschluss vom 18.02.2004 ausgeführt, dass nur durch die Anwendung strafrechtlicher Zwangsmaßnahmen das Bewusstsein dafür geschärft werde, dass sich strafbare Geschäfte nicht lohnen und es wirtschaftlich sinnvoller ist, wirksame Kontrollmechanismen zur Verhinderung von Straftaten einzurichten.
Die nachfolgenden Entscheidungen zeigen die aktuellen Entwicklungen in dem Rechtsgebiet der Compliance auf.
BGH, Urteil vom 27.01.2010, Az. 5 StR 224/09
Fachgebiet: Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht
Stichwort: Insiderhandel
WpHG § 14 Abs. 1 Nr. 1
Der BGH hat zu der Frage der Kurserheblichkeit von Insiderinformationen über Insiderpapiere entschieden, dass es hierfür auf den Zeitpunkt des Insidergeschäftes ankomme.
Jedenfalls stelle eine spätere Reaktion des Kurses auf die Bekanntgabe einer bereits vorher dem Insider bekannten Information ein gewichtiges Beweiszeichen für die Kurserheblichkeit dar. In der Praxis stellt diese Rechtsprechung beinahe eine Beweislastumkehr für die betroffenen Insider dar, wenn nach der Bekanntgabe der Information es zu entsprechenden Marktreaktionen kam.
Anmerkung Rechtsanwalt Dr. Claussen: Die BGH-Entscheidung stellt eine deutliche Verschärfung der Insider-Compliance dar, welche schon immer ein Kerngebiet des Compliance-Managements war.
EuGH, Urteil vom 23.12.2009, Az. C-45/08
EGRL 6/2003 Art 2 Abs 1 UAbs 2, EGRL 6/2003 Art 14 Abs 1, Art 234 EG
Der EuGH hat wiederum entschieden, dass das Verwenden der Insiderinformation widerleglich vermutet wird, wenn in Kenntnis einer Insiderinformation Insiderpapiere erworben oder veräußert werden. Auch diese Entscheidung stellt eine Art Beweislastumkehr dar. Klarstellend hat der EuGH entschieden, dass sog. Face-to-Face-Geschäfte zwischen Personen mit gleichem Wissensstand nicht als verbotenes Insidergeschäft einzuordnen sind.
Kommentar Rechtsanwalt Dr. Claussen: Die verschärfte Rechtsprechung von BGH und EuGH erhöht für die Praxis das Risiko bei Aktiengeschäften von Insidern. Vorstände und andere Insider werden nur mit einer sorgfältigen Dokumentation entlastende Gesichtspunkte vortragen und die Rechtmäßigkeit (Compliance) ihrer Aktiengeschäfte nachweisen können.
BGH 5. Strafsenat, Urteil vom 07.07.2009, Az. 5 StR 394/08
StGB §§ 263, 13 Abs. 1
Fachgebiet: Gesellschaftsrecht, Compliance
Stichwort: Beihilfe zum Betrug durch Unterlassen: Garantenpflicht des Leiters der Innenrevision einer Anstalt des öffentlichen Rechts bezüglich der Unterbindung betrügerischer Abrechnungen
Regelmäßige Garantenpflicht eines Compliance Officers
Nach dem Bundesgerichtshof kommt dem Leiter der Innenrevision einer Stadtreinigung eine Garantenstellung zu, die ihn verpflichtet, die Einhaltung der gesetzlichen Regeln auch zum Schutz der Entgeltschuldner sicherzustellen.
Die Übernahme entsprechender Überwachungs- und Schutzpflichten kann auch durch einen Dienstvertrag erfolgen. Dabei reicht freilich der bloße Vertragsschluss nicht aus. Maßgebend für die Begründung einer Garantenstellung ist vielmehr die tatsächliche Übernahme des Pflichtenkreises. Allerdings begründet nicht jede Übertragung von Pflichten auch eine Garantenstellung im strafrechtlichen Sinne. Hinzutreten muss regelmäßig ein besonderes Vertrauensverhältnis, das den Übertragenden gerade dazu veranlasst, dem Verpflichteten besondere Schutzpflichten zu überantworten.
Der Inhalt und der Umfang der Garantenpflicht bestimmen sich aus dem konkreten Pflichtenkreis, den der Verantwortliche übernommen hat. Dabei ist auf die besonderen Verhältnisse des Unternehmens und den Zweck seiner Beauftragung abzustellen. Entscheidend kommt es auf die Zielrichtung der Beauftragung an, ob sich die Pflichtenstellung des Beauftragten allein darin erschöpft, die unternehmensinternen Prozesse zu optimieren und gegen das Unternehmen gerichtete Pflichtverstöße aufzudecken und zukünftig zu verhindern, oder ob der Beauftragte weitergehende Pflichten dergestalt hat, dass er auch vom Unternehmen ausgehende Rechtsverstöße zu beanstanden und zu unterbinden hat. Unter diesen Gesichtspunkten ist gegebenenfalls die Beschreibung des Dienstpostens zu bewerten. Der BGH führt sodann aus:
„Eine solche, neuerdings in Großunternehmen als „Compliance“ bezeichnete Ausrichtung, wird im Wirtschaftsleben mittlerweile dadurch umgesetzt, dass so genannte „Compliance Officers“ geschaffen werden (vgl. BGHSt 52, 323, 335; Hauschka, Corporate Compliance 2007 S. 2 ff.). Deren Aufgabengebiet ist die Verhinderung von Rechtsverstößen, insbesondere auch von Straftaten, die aus dem Unternehmen heraus begangen werden und diesem erhebliche Nachteile durch Haftungsrisiken oder Ansehensverlust bringen können (vgl. Bürkle in Hauschka aaO S. 128 ff.). Derartige Beauftragte wird regelmäßig strafrechtlich eine Garantenpflicht im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB treffen, solche im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Unternehmens stehende Straftaten von Unternehmensangehörigen zu verhindern. Dies ist die notwendige Kehrseite ihrer gegenüber der Unternehmensleitung übernommenen Pflicht, Rechtsverstöße und insbesondere Straftaten zu unterbinden (vgl. Kraft/Winkler CCZ 2009, 29, 32).
Eine derart weitgehende Beauftragung ist bei dem Angeklagten nicht ersichtlich. Nach den Feststellungen war der Angeklagte als Jurist Leiter der Rechtsabteilung und zugleich Leiter der Innenrevision. Er war unmittelbar dem Vorstandsvorsitzenden unterstellt. Zwar gibt es zwischen dem Leiter der Innenrevision und dem so genannten „Compliance Officer“ regelmäßig erhebliche Überschneidungen im Aufgabengebiet (vgl. Bürkle aaO S. 139). Dennoch erscheint es zweifelhaft, dem Leiter der Innenrevision eines Unternehmens eine Garantenstellung auch insoweit zuzuweisen, als er im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB verpflichtet ist, Straftaten aus dem Unternehmen zu Lasten Dritter zu unterbinden.“
Der BGH hat ferner betont, dass sich ein Compliance Officer nicht aus falsch verstandener Loyalität dem Vorstand unterordnen darf.
BGH 2. Strafsenat, Urt. v. 29.08.2008, Az.: 2 StR 587/07
Fachgebiet: Gesellschaftsrecht, Compliance
Bestechung im internationalen Geschäftsverkehr: Untreue durch Führen von schwarzen Kassen; Bestechung ausländischer Amtsträger
§ 266 Abs 1 StGB, § 299 Abs 2 StGB vom 13.11.1998, § 334 StGB
Schon das Entziehen und Vorenthalten erheblicher Vermögenswerte unter Einrichtung von verdeckten Kassen durch leitende Angestellte eines Wirtschaftsunternehmens führt zu einem endgültigen Nachteil im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB; auf die Absicht, das Geld im wirtschaftlichen Interesse des Treugebers zu verwenden, kommt es nicht an.
Nach dem BGH reicht es für die Annahme einer Untreue aus, dass ein Angestellter Geldvermögen der S. AG in den verdeckten Kassen führte und der Treugeberin auf Dauer vorenthielt, den hierdurch entzog er diese Vermögensteile seiner Arbeitgeberin endgültig. Diese konnte auf die verborgenen Vermögenswerte keinen Zugriff nehmen.
Die Absicht, die Geldmittel – ganz oder jedenfalls überwiegend – bei späterer Gelegenheit im Interesse der Treugeberin einzusetzen, insbesondere um durch verdeckte Bestechungszahlungen Aufträge für sie zu akquirieren und ihr so mittelbar zu einem Vermögensgewinn zu verhelfen, ist hierfür ohne Belang. Dass die Mittel in der verdeckten Kasse zunächst noch vorhanden sind, ist mit Fällen nicht vergleichbar, in denen ein Treupflichtiger eigene Mittel jederzeit bereit hält, um einen pflichtwidrig verursachten Schaden auszugleichen. Beim Unterhalten einer verdeckten Kasse wie im vorliegenden Fall hält der Treupflichtige nicht eigenes Vermögen zum Ersatz bereit, sondern hält Geldvermögen seines Arbeitgebers verborgen, um es unter dessen Ausschaltung oder Umgehung nach Maßgabe eigener Zweckmäßigkeitserwägungen bei noch nicht absehbaren späteren Gelegenheiten für möglicherweise nützliche, jedenfalls aber risikoreiche Zwecke einzusetzen.